Um 8 Uhr fuhren wir mit dem Kiran Bus in die Stadt. In der
Bäckerei gönnten Alessandra, Luca und ich uns einen Chai. Mit einer Motoriksha
machten wir uns dann auf zum Busbahnhof. Dort angekommen hörten wir schon ein
Mann der auf dem Trittbrett des Busses stand und mit voller Kraft „Allahabad“
rief. Wir liefen zu dem Bus, fragten nach dem Preis und stiegen ein. Nach und
nach füllte sich der Bus bis kein Platz mehr frei war. Der ganze Bus fing an zu
vibrieren und wir rollten gemächlich in das Getümmel hinein. Nach zwanzig
Minuten erreichten wir die Autostrasse und waren froh, dass diese weniger
Schlaglöcher hatte. Der Bus füllte sich nach und nach bis auch der Gang vollgestopft
war. Keiner konnte sich mehr rühren.
Alessandra und Luca sind eine Woche später als ich im
Kirancenter angekommen. Sie kommen aus Italien und sind durch Dr. Moreno, der
hier arbeitet, auf das Kiran aufmerksam gemacht worden. Ihr Ziel ist es in dem
Monat in dem sie hier sind, einen Film über das Kiran zu drehen. Beide haben
eine Ausbildung zum Videoreporter gemacht. Unterdessen haben sie in Italien ihr
eigenes Label und arbeiten selbstständig. Unter anderem machen sie Musikvideos
für Bands, Werbefilme uns so weiter.
Nach zwei Stunden sitzen, hatte ich das Bedürfnis mich zu
bewegen. Leider war überhaupt kein Platz dafür vorhanden, so blieb ich auf
meinen wenigen Quadratzentimeter sitzen und wartete sehnlichst auf die Ankunft
in Allahabad. Da wir auf der Strecke die insgesamt drei Stunden dauerte nur sehr
kurze Stopps machten um Leute abspringen zu lassen oder andere aufzunehmen, hat
sich nie die Gelegenheit geboten sich zu erleichtern. So fühlte ich mich mit
der vollen Blase und dem wenigen Raum langsam richtig unwohl. Jedes Loch in der
Strasse und das vibrieren des Busses wirkte sich auf meine Blase aus. Nach
einer Stunde der Qualen fuhren wir endlich über die grosse Brücke von der man
über das ganze Areal der Kumba Mela sah. Tausende von Zelten reihten sich
aneinander, soweit das Auge reichte nur Menschen und Zelte. Am Ende der Brücke
drängelten wir uns durch die Menschenmasse im Gang und riefen dem Busfahrer zu,
dass er anhalten soll. Wir stiegen aus, ich sprintete auf die andere
Strassenseite und erleichtere mich. Vom Ende der Brücke liefen wir dann los Richtung
Aschram in dem uns Dr.Moreno einen Platz reserviert hat.
Das Ashram das aus mehreren kleinen und grossen Zelten bestand wurde von dem Autor des Buches
„ Autobiografie eines Yogis“ gegründet. Wir wurden sehr herzlich empfangen und
bekamen einen Badge um uns auszuweisen.
Für die zwei Nächte und drei Tage bezahlten wir je 400 Rupien, umgerechnet ca.
8 Sfr. Luca und ich schliefen in einem grossen Zelt für die Männer. Zu beiden
Seiten wurden am Boden dünne Schaumstoffmatten auf den Stroh gelegt auf denen
wir schliefen. In unserem Zelt hatte es Platz für 50 Leute.
Die meiste Zeit haben wir das Areal de Kumba Mela zu Fuss
erkundet. Wir liefen viel und sahen dabei sehr interessante und spannende
Aktionen. Wie zum Beispiel am Samstagmorgen, als gegen hundert Sadus auf und
los gesprungen kamen. Wir gingen ihnen aus dem Weg und beobachteten was sie,
wie ein Magnet, anzieht. Um zu sehen was vor sich geht folgten wir ihnen in ein
Aschram, dort sassen schon mehrere Männer in einer Reihe am Boden und warteten
mit ihren Schalen auf das Essen. Schlussendlich sassen mehrere hundert Sadus am
Boden und kosteten das gratis Essen des Aschrams. Die Gesichter waren
faszinierend, geprägt durch Verzicht und mit eiserner Willenskraft sahen mich ihre Augen an, ihre raue Haut und
ihre Falten zeugten von Erfahrung, Erlebnissen, Weisheit und Geschichten. Am
Schluss bekam jeder von ihnen zehn
Rupien als Unterstützung, da sie sonst kein Einkommen haben. Die Sadus widmen
ihr ganzes Leben dem Beten und Meditieren, einige von ihnen sieht man nur alle
zwölf Jahre wenn die Kumba Mela stattfindet. Ansonsten leben sie in den Bergen,
Wälder, abgeschottet, alleine oder ziehen umher. Einige von ihnen aber sind
auch Bettler, haben Natels, Laptops und fühlen sich auch dem Materialismus hingezogen.
Am Sonntag bevor wir wieder nach „Hause“ fuhren, nahmen wir
das heilige Bad im Ganges. Das Wasser war kalt und dunkelbraun. Tausende von
Menschen tummelten sich um uns herum. Sie badeten, tranken das Wasser oder
füllten es in Flaschen ab. Von jung bis alt liessen alle, versammelt an dem
Ufer des Flusses, das mit feinstem Sand leicht abschüssig zum Wasser führte, ihre Sünden vom Ganges davon schwemmen. Ich
hatte Erbarmen mit dem Fluss und fragte mich inwiefern die Wasserfarbe mit den
millionen Sünden im Zusammenhang steht. Ich fand keinen Zugang zu der
Spiritualität des Ortes und des Flusses. Für mich war das baden trotzdem eine
gute Erfahrung und vor allem sehr erfrischend. Ich machte mir viele Gedanken
über die Menschen vor Ort, wie sie glauben und denken, wie sie tausende
Kilometer zurücklegen um in einem dreckigen Wasser zu baden. Ich bewunderte sie
für ihre Einfachheit, für ihre Überzeugung die sie an den Tag legten, für ihr
Hoffen auf eine bessere Zukunft, für ihr Glaube daran, dass der Ganges ihnen
ihre ersehnte Reinheit gibt und die Sünden wegspült, für ihre
Zusammengehörigkeit die sie im Glauben finden und für ihre Suche nach der
Erlösung. Genau gleich machte mir das alles aber auch Angst, ich fragte mich
wie viel die Menschen noch selber denken. Wie einfach es sein könnte die
tausenden Leute gegen etwas aufzuhetzen. Wie sie durch ihre starke Überzeugung
ausgenutzt werden könnten. Wie viel Leid sie auf sich nehmen würden und es als
Schicksal annehmen.
Nach dem Baden bestiegen wir ein kleines, hölzernes
Ruderboot. Eine halbe Stunde lang wurden wir und fünf indische Touristen von
einem jungen, hageren Mann, dem der Schweiss auf der Stirn herunterlief, auf
dem Ganges herum gepaddelt.
Wir standen ein letztes Mal in die Warteschlage um das Essen
im Aschram zu kosten. Es wurde hervorragend gekocht, so freute ich mich immer
auf die Mahlzeiten. Ich genoss jeden Bissen und liess mir drei weitere Male,
Reis, Dal, Saaptchi und Roti nachfüllen.
Um zwei Uhr erreichten wir die Bücke auf der der Bus nach
Varanasi durchfährt. Wir überquerten die dicht befahrene Strasse um auf die
richtige Seite zu gelangen. Drüben angekommen sah ich von weitem einen
silbernen, alten Bus oder Lastwagen. Alessandra und Luca waren schon zehn Meter
weiter gelaufen um die Bushaltestelle zu erreichen. Ich sagte mir, wir haben
nichts zu verlieren und lief auf die Strasse hinaus. Ich gab dem Bus mit
ausgestrecktem Arm und flachen Händen zu verstehen, er solle anhalten.
Tatsächlich erwiderte er mein Zeichen um begann wie wild zu Hupen, als er
nähren kam sah ich, dass es tatsächlich ein Personenbus war. Der Mann der im
Trittbrett mitfuhr und sozusagen das Schild für den Zielort ersetzt rief mir
Varanasi entgegen. Alessandra und Luca kamen wieder zurück und wir sprangen in
den Bus auf ab nach Hause. Wir waren glücklich und zufrieden darüber, so
schnell einen Bus gefunden zu haben und
noch mehr, dass es noch drei freie Sitzplätze hatte. Fünf Minuten und drei
Stopps später war auch der Gang im Bus mit stehenden Passagieren gefüllt.